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Dünndarmverdauliches Rohprotein beim Pferd – warum Qualität vor Quantität geht

In der Pferdefütterung ist der Rohproteingehalt eines Futters seit jeher ein wichtiger Kennwert. Doch wer sich intensiver mit der Versorgung seines Pferdes beschäftigt, stößt schnell auf einen Begriff, der wesentlich mehr Aussagekraft hat:

 

das dünndarmverdauliche Rohprotein (Abkürzung: pcvXP).

 

Warum es eine zentrale Rolle in der Rationsgestaltung spielt, wie sich der Gehalt im Heu verändert und wann eine gezielte Ergänzung sinnvoll ist, beleuchtet dieser Artikel.

Was ist dünndarmverdauliches Rohprotein?

 

Im Gegensatz zum Gesamtrohprotein, das einfach nur die Stickstoffverbindungen im Futter beschreibt, ist das dünndarmverdauliche Rohprotein diejenige Proteinmenge, die tatsächlich im Dünndarm resorbiert werden kann. Und das ist entscheidend – denn nur im Dünndarm können essentielle Aminosäuren überhaupt aufgenommen und für den Muskelaufbau, die Zellregeneration und viele andere Stoffwechselprozesse genutzt werden.

Der Rest des Rohproteins wird im Dickdarm von Mikroorganismen verstoffwechselt, steht dem Organismus aber nicht direkt als Baustoff zur Verfügung.


Warum ist ausreichend dünndarmverdauliches Rohprotein so wichtig?

 

Ein Pferd braucht nicht einfach nur „Protein“, sondern vor allem hochwertiges Protein, das einen hohen Anteil an essentiellen Aminosäuren enthält – allen voran Lysin, Methionin und Threonin. Diese kann der Pferdeorganismus nicht selbst herstellen, sie müssen über das Futter aufgenommen werden. Nur wenn diese Aminosäuren in ausreichender Menge im Dünndarm ankommen, kann der Körper seine Aufgaben erfüllen – von der Muskelbildung über den Fellwechsel bis hin zur Immunabwehr.

Ein Mangel an pcvXP führt daher nicht nur zu Leistungsabfall und schlechtem Muskeltonus, sondern langfristig auch zu Wachstumsstörungen, Fruchtbarkeitsproblemen und einer geschwächten Regeneration.


Heu ist nicht gleich Heu: Wie sich der Gehalt je nach Schnittzeitpunkt verändert

 

Der pcvXP-Gehalt von Heu hängt maßgeblich vom Schnittzeitpunkt ab. Je später das Gras geschnitten wird, desto stärker verholzt es, und desto geringer ist sein Gehalt an verdaulichem Protein. Während frühe Schnitte (z. B. Ende Mai) noch relativ eiweißreich sind, sinkt der pcvXP-Gehalt bei einem späten Schnitt (Juli/August) oft dramatisch ab – teilweise unter die Bedarfsschwelle.

Hinzu kommt: Der Gesamtrohproteingehalt kann auf dem Papier noch akzeptabel wirken, aber der verdauliche Anteil im Dünndarm ist trotzdem zu gering. Spätestens hier zeigt sich, dass allein die Rohproteinangabe in einer Heuanalyse nicht ausreicht, um die Futterqualität korrekt zu beurteilen.


Was sagt das dünndarmverdauliche Rohprotein über die Aminosäurenqualität aus?

 

Das dünndarmverdauliche Rohprotein ist ein Indikator für die Verfügbarkeit essentieller Aminosäuren. Je höher der Anteil des pcvXP, desto besser ist in der Regel auch das Profil dieser kritischen Aminosäuren. Es sagt allerdings nichts über das Verhältnis der einzelnen Aminosäuren zueinander aus – und das ist entscheidend für eine bedarfsdeckende Versorgung.

Ein gutes pcvXP-Niveau bedeutet also: Die Grundvoraussetzungen sind gegeben, aber nicht zwangsläufig, dass alle essentiellen Aminosäuren in der exakt richtigen Menge vorhanden sind. Besonders bei Muskelaufbau, Wachstum oder Rekonvaleszenz kann eine gezielte Ergänzung nötig sein.


Wie viel dünndarmverdauliches Rohprotein braucht ein Pferd?

 

Für ein ausgewachsenes Pferd mit 500 kg Körpergewicht in Erhaltungsbedarf geht man von etwa 315 g pcvXP pro Tag aus. Dieser Wert basiert auf der Empfehlung der GfE (Gesellschaft für Ernährungsphysiologie) und spiegelt die Menge wider, die für Grundfunktionen wie Zellneubildung, Hautstoffwechsel oder Hormonproduktion benötigt wird.

 

Wird das Pferd gearbeitet oder steht es im Training, steigt der Bedarf deutlich an – um ca. 10 % bei leichter Arbeit, 20 % bei mittlerer Arbeit und mehr bei intensiven Trainings- oder Turnierphasen. Denn Bewegung bedeutet Muskelbeanspruchung, und das wiederum setzt eine effektive Proteinsynthese voraus.


Brauchen Robustrassen wirklich weniger Protein?

 

Ein häufiger Irrglaube ist, dass Haflinger, Fjordpferde, Isländer oder Kaltblüter grundsätzlich weniger Eiweiß benötigen als andere Rassen. Tatsächlich ist der Erhaltungsbedarf dieser Pferde durch ihre genetisch bedingte Stoffwechselökonomie niedriger – das betrifft Energie und auch Gesamtprotein im Ruhezustand.

 

Aber: Viele Robustrassen haben eine hohe Muskelmasse relativ zum Körpergewicht, teilweise sogar höher als sportlich gehaltene Warmblüter. Und Muskelgewebe ist auf eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem, dünndarmverdaulichem Rohprotein angewiesen – insbesondere bei Arbeit, Fellwechsel, Muskelaufbau oder Krankheit.

Die Annahme „Robustrassen brauchen weniger Protein“ ist also nicht pauschal korrekt, sondern muss bedarfsgerecht differenziert werden:

Weniger Energiebedarf – ja.

• Gleich hoher Bedarf an essentiellen Aminosäuren – ja.

• Kritischer bei schlechter Futterqualität – definitiv ja.

 

In der Praxis bedeutet das: Diese Pferde benötigen oft weniger Futtermenge insgesamt, aber eine höhere Nährstoffdichte, insbesondere bei den Aminosäuren. Ideal sind Futtermittel mit hohem pcvXP bei moderatem Energiegehalt – z. B. hochwertige Luzerne, Hanfpresskuchen oder gezielte Aminosäuren-Ergänzungen.

 

 


Futtermittel mit hoher Nährstoffdichte

Bio Hanf-Leckerli
ab 17,90 € 8,95 € / kg
Bio Luzernepellets
ab 37,60 € 1,88 € / kg
Bio Natur Pur Spezial 7kg
ab 29,90 € 4,27 € / kg
Reine Bierhefe 500g
5,00 € 10,00 € / kg
SOLO Muskel-Fit
ab 34,50 € 23,00 € / kg

Mehr Eiweiß – mehr Hufrehe? Ein überholter Mythos.

 

Der Gedanke, dass eine eiweißreiche Fütterung Hufrehe auslösen könne, hält sich seit Jahrzehnten – ist aber wissenschaftlich nicht haltbar. Die Ursache für Hufrehe liegt in den allermeisten Fällen in einer Überversorgung mit leicht verdaulichen Kohlenhydraten (z. B. Fruktan, Zucker, Stärke) oder in einer Stoffwechselentgleisung (z. B. EMS, PPID = Cushing, Endotoxine nach Koliken).

 

Hochwertiges Protein – insbesondere in Form von pcvXP – verursacht keine Hufrehe. Im Gegenteil: In der Regeneration nach einer Hufrehe-Episode ist eine bedarfsgerechte Eiweißversorgung sogar essenziell für Hufwachstum, Gewebereparatur und Immunfunktion.

Wird aus Angst vor „zu viel Eiweiß“ eine Mangelversorgung provoziert, drohen Muskelabbau, schlechter Fellwechsel, Immunschwäche und verzögerte Heilungsprozesse.

 

Wichtig: Bei stoffwechselempfindlichen Pferden muss die Eiweißquelle passend gewählt werden – niedrig-energiehaltig, aber hochwertig in der Aminosäurenzusammensetzung. Hier leisten proteinreiche Komponenten wie Luzerne, Hanf oder spezielle Aminosäuren-Ergänzungen wertvolle Dienste – ohne Rehe-Risiko.

 


Fazit

 

Dünndarmverdauliches Rohprotein ist der Schlüssel zu einer bedarfsgerechten Eiweißversorgung – besonders in Zeiten erhöhter Beanspruchung. Wer nur auf den Rohproteingehalt im Heu schaut, unterschätzt oft das Risiko einer Mangelversorgung. Eine fundierte Rationsanalyse und gezielte Ergänzung hochwertiger Aminosäuren kann entscheidend sein – für Leistung, Gesundheit und Lebensfreude unserer Pferde.

 

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